Ev.-Luth. Petri-Nikolai-Kirche Freiberg

Erbauer:
Baujahr:
Restaurierung:
Spieltraktur:
Registertraktur:
Ladensystem:
I. HAUPTWERK C, D – c3
1. | Prinzipal | 16′ |
2. | Oktavprinzipal | 8′ |
3. | Viola de Gamba | 8′ |
4. | Rohrflöte | 8′ |
5. | Oktave | 4′ |
6. | Spitzflöte | 4′ |
7. | Quinte | 3′ |
8. | Oktave | 2′ |
9. | Terz | 1⅗′ |
10. | Cornett | IV |
11. | Mixtur | IV |
12. | Cimbel | III |
13. | Fagott | 16′ |
14. | Trompete | 8′ |
II. OBERWERK C, D – c3
15. | Quintadena | 16′ |
16. | Prinzipal | 8′ |
17. | Gedackt | 8′ |
18. | Oktave | 4′ |
19. | Quintadena | 8′ |
20. | Rohrflöte | 4′ |
21. | Nasard | 3′ |
22. | Oktave | 2′ |
23. | Quinte | 1½′ |
24. | Sifflöte | 1′ |
25. | Sesquialter-Terz | ⅘′ |
26. | Mixtur | III |
27. | Vox humana | 8′ |
PEDAL C, D – c1
28. | Untersatz | 32′ |
29. | Prinzipalbaß | 16′ |
30. | Oktavbaß | 8′ |
31. | Posaune | 16′ |
32. | Trompetenbaß | 8′ |
KOPPELN UND SPIELHILFEN
Manualschiebekoppel I/IIBassventil (Koppel I/P)
Tremulant
Schwebung für das Oberwerk
Kalkantenklingel
Stimmtonhöhe: 462,5 Hz
Temperierung: Neidhardt 2
Restaurierungs- und Rekonstruktionsarbeiten an der Gottfried-Silbermann-Orgel in St. Petri seit 1993
Die 1993 ausgeführten Arbeiten wurden zum damaligen Zeitpunkt als Zwischenschritt auf dem Weg zu einer breiter angelegten Restaurierung und Rekonstruktion angesehen. Sie stellten eine Fortführung der 1959 mit dem Ausbau des dritten Manuals begonnen Arbeiten zur Annäherung an den ursprünglichen Zustand der Orgel dar. Es erfolgten der Ausbau der Orgel wesensfremder Zutaten wie die Tasten Cis in allen Werken, der Ausbau der Wippenkoppel im Manual und der Ausbau von Subbaß 16’ im Pedal mit anschließendem Wiedereinbau der Trompete 8’an ihrer ursprünglichen Position. In ihrem Umfang waren sie durch einen engen finanziellen Rahmen begrenzt. Dieser verhinderte, daß die damals schon herrschende Vision einer weiterführenden Restaurierung und Rekonstruktion ausgeführt werden konnte. Offen blieben daher insbesonderer eine grundlegende Restaurierung der Windladen, die Entfernung von Filz aus der Tontraktur, eine über Reparaturarbeiten hinaus gehende Restaurierung des Pfeifenbestandes, sowie die Stimmton- und Temperierungsfrage. Als zu rekonstruierende Orgelteile blieben die Rekonstruktion der ursprünglichen Form der Pedalwindladenlager, die Rekonstruktion der Pedalklaviatur, die Rekonstruktion der Kanlatremulanten und die Rekonstruktion der Balganlage offen. Das Letztere zeitnah wieder entstehen könnte hatte damals kaum jemand zu hoffen gewagt.
Als im Jahre 2006 mit den konkreten Vorüberlegungen für eine Restaurierung und Rekonstruktion begonnen wurde, herrschte über das Ziel Einigkeit. Restaurierung der vorhandenen Originalsubstanz und eine möglichst authentische Rekonstruktion der verloren gegangenen Originalteile. Die Aufteilung der Arbeiten erfolgte zur Bündelüng von Kompetenzen und der Ausnutzung von Synergieeffekten auf die beiden Dresdner Orgelbauwerkstätten Jehmlich und Wegscheider deren Kooperation sich bereits in den Jahren 2000-2002 während der Restaurierung und Rekonstruktion der G. Silbermann-Orgel in der Dresdner Hofkirche bewährt hatte. Die Windladen und die Überarbeitung des Pfeifenwerkes wurden der Orgelbauwerkstatt Wegscheider übertragen. Die Rekonstruktion der Balganlage, die Überarbeitung der Ton- und Registertraktur, die Rekonstruktion der Kanaltremulanten und diverse Arbeiten am Gehäuse, dem Gerüstwerk und dem Spieltisch, der Orgelbauwerkstatt Jehmlich.
1941 hatte man mit der Beseitigung der vier Keilbälge die Orgel ihrer ursprünglichen Windversorgung beraubt. An deren Stelle wurden zwei Schwimmerbälge installiert. Der für uns heute als schmerzlich empfundenes Verlust der Keilbalganlage wurde damals mit Holzwurmfraß begründet. Aus Sorge vor einen Übergriff auf den Rest des Instrumentes wurde die befallende Holzsubstanz radikal entfernt. Mit gleichlautender Begründung wurden die originalen Gerüstböcke der Pedalwindladen ebenso entfernt. Ob neben dem Holzwurmbefall noch andere Gründe eine Rolle spielten oder dieser gar nur einen Vorwand darstellte, um eine modernere Windversorgung installieren zu können, bleibt offen. Denkbar ist, daß man mit der Windversorgung nicht zufrieden war und der Holzwurmfraß willkommener Anlaß war, die Orgel mit einer moderneren, zeitgenössischen Standards entsprechenden Windversorgung versehen zu können.
Das Instrument stand unter Denkmalschutz. Um die umfangreichen Arbeiten in Kriegszeiten bei vorherrschendem Arbeitskräftemangel bewerkstelligen zu können, ließ man sich von der Kirchgemeinde die Dringlichkeit der Arbeiten bestätigen. Als Rechtfertigung für die Dringlichkeit des Bedarfs an Arbeitskräften mußte der „staatliche Denkmalschutz“ herhalten.
Beim Abbau der Balganlage wurden weder Skizzen angefertigt noch sind sonstige Aufzeichnungen über deren ursprüngliches Erscheinungsbild überliefert. Die Rekonstruktion der Balganlage mußte sich daher an den wenigen erhaltenen Spuren orientieren. Zu den bedeutsamsten Spuren zählten „Zapfenlöcher“ zur Aufnahme von Querlagerbalken im Balkenwerk der Rückwand der Orgel. An Hand dieser Zapfenlöcher lies sich die Anzahl der Bälge mit vier ermitteln. Zusätzlich konnten daraus sowohl deren Neigungug als auch deren Ausrichtung bestimmt werden. Die Dimensionen der Balken und des Bälgegerüstes ließen sich an Spuren im erhaltenen Bodenbalken ablesen. Die Trittsufenanlage für die Kalkanten zeichnete sich als Kontur im Wandputz an der Rückwand der Orgel ab. Die Abmessungen der Bälge und deren Bauartdetails wurden im direkten Abgleich mit erhaltenen Originalbälge Silbermanns bestimmt. Zu klären war die Frage, ob die Orgel über einen einheitlichen Winddruck verfügte oder ein zwischen Pedal- und Manualwerken ausdifferenzierten. Die Anzahl der Bälge lies Rückschlüsse zu, daß es sich um nur einen einheitlichen Winddruck gehandelt haben muß. Heikel war die Frage, wie sowohl ein 32 Fuß Register als auch ein 1Fuß Register mit einem einheitlichen Winddruck zu betreiben wären, ohne daß es zu gegenseitigen Beeinflussungungen beim Windverbrauch kommen würde. Man entschied sich daher für jedes Werk einen getrennten Windkanal zu legen. Diese von Silbermann nur selten praktizierte Lösung von getrennten Windkanälen, bereits im Sammelkanal der Bälge beginnend, wurde hier als Lösungsweg gewählt.
Die Balganlage kann auf zwei unterschiedliche Weisen betrieben werden. Zum einen mittels Bälgetretern (Calcanten) wie dies bis zur Einführung von elektrischen Schleudergebläsen ab den 1930er Jahren üblich war. Zum anderen über ein Elektrisches Schleudergebläse. Als Besonderheit wird hier nur in den untersten der vier Bälge eingeblasen, während die oberen drei Bälge über einen Hochstellmechanismus der Rückschlagventile zum „Mitschwimmen“ auf dem Wind eingerichtet sind.
Für die Rekonstruktion der Balganlage wurden insgesamt 8 m3 Fichtenholz verarbeitet. Für das Balkenwerk des Bälgegerüstes 3,3 m3 Fichtenholz.
Die Arbeiten an der Tontraktur bestanden im Wesentlichen darin, sämtliche Filze aus den Wellenlagern und Anhängepunkten als artfremde und von Silbermann nicht verwendete Materialien zu beseitigen. Die nicht mehr im Original erhaltenene Pedalklaviatur wurde nach Originalvorlagen rekonstruiert. Der Tremulant für das Hauptwerk und die „Schwebung“ für das Oberwerk wurden jeweils mitsamt deren Registemechaniken ebenso rekonstruiert.
Um das Orgelgehäuse „freizulegen“, wurden mit Beginn der Arbeiten die seit Ende des 19. Jh. existierenden erhöhten seitlichen Stufen der Emporenanlage entfernt. Die Freilegung des Gehäuses in diesem Bereich hatte zur Folge, daß die Orgeltüren wieder auf ihr ursprüngliches Maß angelängt werden konnten und die Orgel nun wieder „ebenerdig“ zu betreten ist.
Im Zuge des 1896 erfolgten Einbaus eines dritten Manuals wurde der Spieltisch in Teilen modifiziert. Dies betraf unter anderem die Spielschranktüren und deren Beschläge. An den Türen war ablesbar, daß diese zwar noch Teile von Originalsubstand aufwiesen, diese jedoch in starkem Maße modifiziert worden war. Es wurde abgewogen zwischen Substanzerhalt und Rekonstruktion. Als Kompromiss wurde eine Variante gewählt, bei der die Füllungen mit ihrer Bemalung wieder verwendet wurden. Die Rahmen dazu wurden neu hergestellt. Die Beschläge dazu wurden in Anlehnung an Originalvorlagen neu geschmiedet.
Nach der Beseitigung von Elektrokabeln und elektrischen Schaltelementen als Zutaten des 20. Jh. waren Löcher im Gehäuse und an Trakturteilen zu schließen.
Insgesamt wurden in der Summe über 4500 (?) Stunden mit der Ausführung der hier umrissenen Arbeiten zugebracht.
Manchmal ist es gut, daß Zeit vergeht, ohne daß sichtbar etwas geschieht, daß Dinge ruhen können, ohne dabei in Vergessenheit zu geraten. Übertragen auf die nun abgeschlossene Restaurierung und Rekonstuktion heißt dies, daß die Zeit zwischen 1993 und 2007 durchaus sinnvoll für einen Reifeprozess genutzt wurde. Erfahrungen wurden dabei im Umgang mit und bei der Restaurierung anderen Silbermann-Orgeln gesammelt und vertieft. Aus dem gesammelten Erfahrungsschatz konnte nun umso reicher zum Wohle des Instrumentes geschöpft werden. Die Geschichte des Instrumentes weist Brüche auf. Diese bleiben dem darum Wissenden im Innern sichtbar. Sie vollständig zu glätten wäre weder möglich, noch war es Anspruch dieser Restaurierung. Das Ringen um höchstmögliche Authentizität beim Versuch der Annäherung an das was Gottfried Silbermann mit dem Bau des Instrumentes beabsichtigte war Leitmotiv der Arbeiten. Die Geschichte bleibt und wird fortgeschrieben. Wir treten zurück in der Hoffnung und verbunden mit dem Wunsch, daß die Freude am Instrument noch möglichst vielen Genrationen auch nach uns erhalten bleibt.
Andreas Hahn