Evangelisch-Lutherische Kirche Parum
Erbauer:
Baujahr:
Restaurierung:
Spieltraktur:
Registertraktur:
Ladensystem:
I. HAUPTWERK C – g3
1. | Bordun | 16′ |
2. | Principal | 8′ |
3. | Viola di Gambe | 8′ |
4. | Hohlflöte | 8′ |
5. | Octave | 4′ |
PEDAL C – g1
Der Orgelbauer Johann Heinrich Runge von Jan von Busch
Über das Leben von Johann Heinrich Runge ist bislang relativ wenig bekannt, obwohl er als Ur-Mecklenburger die Gegend seiner Heimat über fast ein halbes Jahrhundert bedeutend geprägt hat. Geboren wurde er am 1.April 1811 in seiner Heimatstadt Hagenow- im gleichen Jahr also wie z.B. Franz Liszt oder Runges bedeutender Kollege Friedrich Wilhelm Winzer aus Wismar. Mit ersterem sind wir Heutigen hinreichend vertraut und wissen somit Runge seinem Zeitumfeld gut zuzuordnen. Dafür wird er selbst seinen berühmten Altersgenossen wenig wahrgenommen, seine Musik wohl auch kaum gehört haben. Mit Sicherheit kannte er aber seinen Konkurrenten aus Wismar persönlich, welchen die meisten von uns wiederum kaum einordnen können, es sei denn, man hat irgendwann Kontakt mit einem seiner wunderschönen Instrumente in Wittenburg, Schönberg, Hohen Viecheln oder anderswo finden dürfen. Mit Winzer verbindet Runge auch der gleiche Lehrmeister, Friedrich Schulze in Paulinzella (Thüringen) nämlich, welcher im 19.Jahrhundert ein hohes Ansehen genoss und ganz Deutschland mit qualitätvollen Werken belieferte. Seine großen Orgeln in den Marienkirchen zu Wismar und Lübeck waren weithin berühmt und sind noch heute in den Ohren vieler Kenner Legende. Doch bevor Runge Friedrich Schulze kennenlernen konnte, absolvierte er eine Lehre als Tischler bei seinem Vater Marcus Detlev Runge. Dies geschah im Anschluss an die Konfirmation, so dass Johann Heinrich im Jünglingsalter bereits fertiger Tischlergeselle war, fest im Begriff, die väterliche Werkstatt einst zu übernehmen.
Schon bald wird Runge gemerkt haben, dass seine Interessen und Fähigkeiten über die Aussicht hinausgriffen, ein Leben lang die väterliche Werkstatt zu führen. Seine handwerkliche Begabung im Umgang mit Holz strebte höheren künstlerischen Zielen zu. Zu welchem Zeitpunkt er mit dem Orgelbau in Berührung kam, wissen wir nicht. Die erste Orgel, die er zu Gesicht bekam, dürfte die seiner Heimatkirche gewesen sein. Das war die 1807 von Friedrich Friese (I) mit 16 Registern fertiggestellte einmanualige Orgel in der alten Hagenower Stadtkirche. Diesen bedeutenden mecklenburgischen Orgelbauer könnte Johann Heinrich Runge noch kennengelernt haben, er starb 1833, als Johann Heinrich 22 Jahre alt war. Intensiven Kontakt pflegte er dann aber später mit Friedrich Friese (II), der neben seiner Orgelbautätigkeit vor allem als Domorganist in Schwerin hervorgetreten ist. Vermutlich hat Runge sich das Orgelbauhandwerk zunächst autodidaktisch angeeignet, später vielleicht durch Studien bei Friese (II) in Schwerin vertieft. Dieser erteilte Johann Heinrich dann auch eine Art Prüfungsgutachten, mit welchem Runge die Voraussetzung für das Erlangen des begehrten Orgelbauprivilegs erhielt. Bevor Johann Heinrich im Jahre 1841 sein Meisterstück erstellte, also erst im Alter von 30 Jahren, muss er die Lehrzeit bei Friedrich Schulze absolviert haben, über deren Ausdauer noch keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen. Das Meisterstück jedoch ist bis heute erhalten geblieben und wurde von seinem Schöpfer 1845 an die Gemeinde in Klinken veräußert, zu einer Zeit, als Johann Heinrich bereits mit der Arbeit an seiner ersten wirklich großen Orgel in Gadebusch beschäftigt war. In Klinken hatte er sich persönlich bei Pastor Bierstedt in fast rührender Weise für sein gutes Stück eingesetzt und die Gemeinde von der Anschaffung eines Instrumentes überzeugen können. Sogar der Oberkirchenrat gab sein Placet, aber vor allem, alldieweil die Kirche in Klinken in überaus schöner Weise dem gothischen Styl verpflichtet… Mecklenburgische Kenner wussten also schon damals, wo sich die besonders schönen Kirchen befinden. Mit dem Klinkener Instrument zog Johann Heinrich Runge bereits alle Register seines Könnens als gelernter Tischler mit künstlerischen Ambitionen. Er probierte schnitztechnisch so ziemlich alles aus, was die Zeit um 1840 stilistisch zu bieten hatte: Klassizistische Proportionen und Gesimse, neugotische Strukturen (aber noch versteckt), reliefartig geschnitztes vergoldetes Blatt- und Rankenwerk, Strahlengloriole und obendrein ein Zimbelstern, womit Johann Heinrich Runge sich vor seinen barocken Vorgängern tief verbeugte.
Dieses Klinkener Meisterstück muss die Gemeinde sehr beeindruckt haben, so sehr, dass der Ruhm dieses kleinen Werkchens über fast die ganze Lewitz schallte. In den folgenden Jahren erteilten nämlich die meisten der umliegenden Dörfer Aufträge an Johann Heinrich Runge, zunächst Kladrum 1847, dann Dütschow 1850, Garwitz 1854, Raduhn 1858 und schließlich Mirow im Jahre 1857. Nun hätte Runge natürlich ein einmal bewährtes Orgelmodell erarbeiten, an ihm feilen und es, von abweichenden Wünschen der Auftraggeber abgesehen, in stets gleichbleibend qualitätvoller Form in Serie fertigen können, genau wie es sein Kollege Friedrich Lütkemüller aus Wittstock über Jahrzehnte in künstlerischer Kontinuität tat. Das scheint aber gar nicht die Sache eines Johann Heinrich Runge gewesen zu sein. Mit jedem seiner kleinen Werke, und die Betonung auf „jedem“ ist nicht übertrieben, bemühte er sich, von neuem zu tüfteln, neue technische Raffinessen auszuprobieren oder dem Gehäuse eine neue, noch nie dagewesene Ausstrahlung zu verleihen. Um sich von nahezu allen zeitgenössischen Orgelbauern abzuheben, besann sich Runge dabei auf seine Herkunft als Tischler und legte den Schwerpunkt der Gestaltung seiner Orgelprospekte nicht auf die Pfeifen (wie es sonst eigentlich immer der Fall ist), sondern auf die Holzarbeit. Diese hatte bei ihm zu dominieren, sie sollte die Augen des Betrachters auf sich ziehen. Die Pfeifen selbst sollten ganz bescheiden wirken, gewissermaßen beiläufig in einer Reihe stehend, ihre Labien (Pfeifenmünder) hübsch immer auf der gleichen Höhe wie die Nachbarpfeife haltend. Die Ideen stammten mit Sicherheit immer von Runge selbst, wobei Friedrich Schulzes Vorbild natürlich Pate stand, welcher grundsätzlich stumme Prospekte baute, die zeitweilig sogar gar keine Pfeifen enthielten und dann mehr an klassizistische Schrankwände als an Orgelprospekte erinnerten.
In Mirow entstand dabei ein Modell, das in ähnlicher, aber abgewandelter Form auch in Garwitz erscheint: Drei kleine Pfeifenfelder werden durch zwei durchbrochene Schmucköffnungen voneinander getrennt, die von innen mit Gaze verhängt sind. So entstand ein durchaus interessanter lebendiger Prospekt, der wie fast alle anderen Gesichtsfelder von Runge-Orgeln eigentlich nie langweilig wirkt. Fast ebenso großen Wert legte Runge auf die Gestaltung der öffentlich eigentlich nicht sichtbaren Rück- und Seitenwände. Hier gibt es mehre kleine und große Füllungen, die einzeln herausnehmbar sind und verschiedene technische Teile wie die Pfeifenkammer, den Windkasten oder die Balganlage verdecken. Technisch ist die Mirower Orgel einfach, aber solide gehalten. Anderswo experimentierte Runge auch in diesem Bereich mit Neuerungen. Am interessantesten ist vielleicht die Orgel in Frauenmark, wo ein zweites Manual ausschließlich aus so genannten Transmissionsregistern besteht, welche eigentlich die gleichen Pfeifen benutzen wie das erste Manual, nur um eine Oktave versetzt.
Zur großen Tragik in Johann Heinrich Runges Lebenswerk zählt die Glücklosigkeit in der Fertigung größerer Instrumente. Von seinen wirklich großen Instrumenten hat kein einziges überlebt. Weder in Gadebusch, noch in Hagenow oder gar im fernen holsteinischen Oldesloe, wohin Runge im Jahre 1863 sein vielleicht größtes selbständig erbautes Werk lieferte. Diese Orgel bestand nicht einmal vierzig Jahre. Grund dafür war mit Sicherheit weniger ein grundsätzlicher Qualitätsmangel als vielmehr kleine Schwachpunkte im Detail, die zunächst keine Rolle spielten und erst nach einiger Zeit den größeren Instrumenten umso mehr zu schaffen machten. Es war bei fast jeder Orgel die Balganlage, die zum Problem wurde. Wahrscheinlich hätte man dem Mangel in jedem Fall durch kleine unwesentliche Handgriffe beikommen können. Für die Organisten, die an größeren Orgeln natürlich in der Regel fest angestellt waren und auch über mehr Können verfügten als die Kollegen auf dem Dorf, war so etwas jedoch immer eine günstige Gelegenheit, eine neue Orgel zu verlangen und somit auf der Höhe der technischen Errungenschaften zu bleiben. So bleibt uns heute die Orgel in Dömitz als Johann Heinrich Runges größte erhaltene Orgel (19 Register), gefolgt von Picher mit 12 und Frauenmark mit 8 Registern (plus fünf Transmissionen). Den weitaus größten Anteil seines Opus stellen jedoch die vielen kleinen einmanualigen Dorforgeln mit einem Umfang von vier bis acht Registern. Jedes dieser kleinen Instrumente hat seine unverwechselbare Eigenheit, die es erhaltenswert macht. Mirow ist nun eines der ersten Instrumente, die der Gemeinde und den Orgelkennern aus nah und fern einen Eindruck geben können von Johann Heinrich Runges technischen und klanglichen Fähigkeiten. Die Vielseitigkeit ist das wichtigste Wesensmerkmal im Reigen der Schwesterinstrumente und wiegt die vielleicht insgesamt etwas geringe Zahl von ungefähr 25 Neubauten von Johann Heinrich Runge auf.
Am 25.Februar 1885 starb Johann Heinrich Runge im Alter von 73 Jahren in Hagenow. Sein Sohn Marcus war noch nicht alt genug, die väterliche Werkstatt zu übernehmen. Eine einmalige Chance war gegeben, als 1896 Friedrich Friese (III) in Schwerin starb. Marcus Runge konnte nicht nur dessen Werkstatt übernehmen, sondern gleichzeitig auch deren Ruhm, welcher ihm in den folgenden Jahrzehnten fast ständig volle Auftragsbücher bescherte. Von den handwerklichen Qualitäten seines Vaters hat er aber nicht mehr viel profitieren können oder wollen. Marcus Runge stieg sofort auf die neue Technik der Pneumatiksteuerung um und baute im technisch gewandelten Stil seiner Zeit. Die Ästhetik seines Vaters mit der sehr individuellen künstlerischen Profilierung hat er dabei nicht wieder erreicht.
Schwerin, im Juni 2001
Jan von Busch